Partizipierende Leitung

Originaltext von Ruth C. Cohn

Gruppenleiter(innen)

Jede Gruppe mit mehr als fünf oder sechs Personen braucht einen oder zwei Gruppenleiter. Wenn niemand delegiert wird, sinkt erfahrungsgemäß nach einiger Zeit das Niveau der TZI-Arbeitsgruppe; denn wenn alle ihre Konzentration auf das Wahren der dynamischen Balance und auf andere Leitungsfunktionen richten, wird zuviel Energie für die Leitungsaufgabe verwandt und zuwenig auf den individuellen Bezug der einzelnen zur Gruppe und zum Thema. Wenn dagegen niemand die dynamische Balance konsequent vertritt oder auf das Wohlbefinden der andern achtet, entsteht entweder ein Verlust an Gruppenkohäsion (wie z. B. im Hörsaal) oder ein Themenverlust (wie in der Encountergruppe). 

Porträt von Ruth C. Cohn
Ruth C. Cohn

Gruppenleiter sind jedoch in erster Linie Teilnehmer, also Menschen mit eigenen Interessen, Vorlieben, Gedanken und Gefühlen, und erst in zweiter Linie Gruppenleiter mit einer speziellen Funktion. Diese Funktion besteht primär darin, die dynamische Balance zwischen Ich-Wir-Es und deren Zusammenhang mit dem Globe zu beachten. Die Aufmerksamkeit auf alle Ichs zu lenken bedeutet, dass die einzelnen Beachtung finden. Das Ich oder die Ichs sollen nicht auf Dauer wichtiger werden als die Gruppeninteraktion, das Wir, und beide zusammen dürfen nicht die »dritte Sache«, nämlich das Thema, die Aufgabe, zu kurz kommen lassen. Wenn die dynamische Balance zwischen den drei Gruppenfaktoren Ich-Wir-Es und deren Einbettung im Globe respektiert wird, kommt das Es nicht zu kurz. Das Es gewinnt, weil die Energien der einzelnen und deren Kooperation zusammenfließen und die Arbeit gemeinsam befruchten. Dies kann dort nicht geschehen, wo Rivalitäten und Antagonismen keine Kooperation aufkommen lassen.

 

Gruppenleiter sollen nicht mehr und nicht weniger Unterstützungshilfen in der Gruppe geben als nötig, sondern versuchen, neben ihren Funktionen als Hüter der dynamischen Balance innere Zeit für das Thema zu gewinnen. Die Aufgabe, »in erster Linie Mensch und nicht Funktion« zu sein, fällt neuen TZI-Leitern schwer, da übliche Gruppenleitungen als neutrale oder als autoritäre Funktionen ausgeübt werden. TZI-Gruppenleitung dagegen ist Leitung in Partizipation. Die Strukturierung der Arbeitsgruppe in Zeit und Raum, die Themenfindung, die Auswahl des Wichtigen sollen den Anliegen der Situation und der Gruppe entsprechen; die Ausführung dagegen ist in Disziplinierung und Detail Aufgabe der Gruppenleitung.

Aus: Ruth C. Cohn / Alfred Farau: Gelebte Geschichte der Psychotherapie. Klett-Cotta, 1984