TZI LIVE AN DER HOCHSCHULE

Ach, das war aber kurzweilig!

Silvia Habringer-Hagleitner
Silvia Habringer-Hagleitner

Silvia Habringer-Hagleitner ist Professorin für Religions- und Spiritualitätsbildung an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz und Privatdozentin an der Katholischen Privatuniversität Linz und Lehrbeauftragte im Ruth Cohn Institut. Irene Kernthaler-Moser hat auch sie nach ihren Erfahrungen mit TZI im Arbeitsalltag gefragt, über die Bedürfnisse der heutigen SchülerInnen und über den Mut ganz Ich zu sagen gesprochen.

 

 

Wie ist die aktuelle Situation in Deinem Arbeitsbereich und wo wendest Du TZI dabei an?

 

Ich arbeite im Uni Kontext am Institut für Pädagogik und Religionspädagogik in Linz. Ich habe die Möglichkeit alle Lehrveranstaltungen mit Seminar und Übungscharakter nach TZI zu planen und durchzuführen. Matthias Scharrer hat bei uns bereits vor 20 Jahren ein ausdrückliches Seminar mit TZI eingeführt. Anhand eines speziellen Themas setzen sich StudentInnen - heuer hatten wir z.B. das Thema Leben und Glaube – mit Kinder und Jugendliteratur auseinander. Wir setzen uns also mit der Frage nach den verschiedenen Gottesbildern nicht nur theoretisch auseinander, sondern verorten das auch biographisch. Wir verordnen nicht von oben nach unten was gut ist, sondern fordern die einzelnen Studierenden auf, auf Basis ihrer Erfahrungen ihre eigenen Theorien zu formulieren und sich darüber auszutauschen.

Ich arbeite auch in meiner Lehrveranstaltung „Theologie und Biographie“ zum Beispiel immer mit einer Befindlichkeitsrunde. Das ist so ein kleiner Aspekt, der bewirkt, dass wir als Lerngruppe einander bewusster wahrnehmen und wir voneinander wissen, wo wir stehen. So kommen wir besser in die inhaltliche Auseinandersetzung.

Selbst in der Vorlesung – wo Aktivität der Studierenden eigentlich nicht so gefragt ist – habe ich einen TZI geprägten Vortragsstil. Ich referiere aus einer Haltung heraus und habe den Mut auch ICH zu sagen. Als Uni Dozentin über persönliche Erfahrungen zu reden, so wie auch Ruth Cohn es immer gemacht hat, ist auch heute noch nicht üblich. Ruth Cohn hat sehr authentisch ihre Theorie entwickelt. Ich mache eine Vorlesung, wo ich meine eigenen Positionen offen lege und die Zuhörerinnen bestärke wiederum ihre Position zu finden. Ich finde es wichtig, sich nicht zu berufen auf irgendwelche scheinbare objektiven Autoritäten. Die Täter haben sich auch immer auf andere Größen berufen und dass sie nur tun, was ihnen jemand andere angeschafft hat. Das finde ich gefährlich. Ich möchte, das Studierende lernen ICH zu sagen, zu ihrer eigenen Stimme und Sprache finden.

Manchmal moderiere ich auch außerhalb der Universität, bei den Grünen Oberösterreichs. Und auch da ist Moderieren mit TZI ein mutiger Schritt. PolitikerInnen sind es nicht gewohnt ihre eigenen Positionen darzulegen. Aber sie haben gemerkt, wie das Verständnis füreinander als Grundlage für das inhaltliche Arbeiten wächst, wenn man sich persönlich zeigt.

 

Wie reagieren die Menschen auf Deine Art zu moderieren?

 

Ich höre von den Erwachsenen immer wieder „Ach, das war aber kurzweilig!“ Die Menschen sind überrascht, dass ein langer Arbeitstag wie im Flug vergeht. Die Überraschung besteht darin, dass es nicht ermüdend, sondern anregend und kurzweilig ist. Die Reaktion bei den Studierenden ist ganz eindeutig: sie fahren begeistert, aufgebaut, angeregt nach Hause. Wir sind in einem Seminarhaus, wo wir 4 Tage mit ihnen arbeiten, und von dort kommen sie mit viel Begeisterung und Schwung an die Uni zurück. Es ist inzwischen so, dass auch andere Lehrende feststellen, dass eine gewisse Kraft von diesen TZI Seminaren ausgeht.

Es gibt natürlich auch TeilnehmerInnen, die sagen es war okay, aber es ist ihnen zu wenig an der Sache vorangegangen. Das sind Menschen, die einfach sehr sachorientiert sind und die meinen, es geht am meisten voran, wenn man ganz viel auf der sachlichen Ebene arbeitet. Sie sind dann unzufrieden, weil in TZI Seminaren mit allen vier Faktoren gearbeitet wird und nicht nur mit dem ES. Da bekommt die Sache ein Stück weniger Raum, als sie gewohnt sind. Das ist aber der Kontext Universität, das passiert weniger bei Fortbildungen, wo viele der PädagogInnen danach hungern ihre eigenen Erfahrungen erzählen und verarbeiten zu können.

Wenn jemand 12 Jahre lang in der Schule lernt, dass es nicht interessant ist, wie es ihm oder ihr jetzt geht, dann gibt es natürlich ein Stück Irritation, wenn plötzlich nach der eigenen Befindlichkeit und den Spielregeln in der Gruppe gefragt wird. Oft lässt es diese Menschen nicht los und sie fahren öfter auf unsere TZI-Seminare mit und freunden sich langsam an mit der Art, über sich selbst zu reden, eigene Gefühle anzusprechen. Sie brauchen einfach mehr Zeit um Vertrauen aufzubauen und es ist schön dieser Entwicklung zuzusehen.

Ich habe StudentInnen gehabt, die in 4 Tagen nichts gesagt haben in der Gruppe, aber mir danach ein Gedicht geschrieben haben. Eine andere kam Jahre später wieder mit und hat gelernt, dass die anderen ihr gern zuhören und sie wichtige Beiträge für die Gruppe bringt. Alles in allem dürfen wir uns einfach nicht wundern, wenn sich viele nicht auf diese Art des Lernens einlassen - sie haben es 12 Jahre lang in der Schule anders antrainiert bekommen.

 

Wir leben in einer Zeit der Orientierungslosigkeit und oft verzweifelten Sinnsuche und in einer Zeit der ständigen Entscheidungsnot. Es ist alles möglich geworden und ständig stellt sich dem Individuum die Frage „Was ist richtig und was soll ich tun?“

TZI wirkt ICH stärkend und fördert die Entscheidungskraft und zwar mit dem Chairpersonprinzip.

Da hat Ruth Cohn doch diese schöne Übung um auf die eigenen inneren Stimmen zu hören entwickelt: Man soll sich eine Viertelstunden überlegen, was man wirklich will. Ich übe zu erkennen, was ich wirklich will, unabhängig von dem was die Wirtschaft, Medien, Autoritäten, Gurus sagen. Aber ich soll nicht nur egoistisch sondern im Bewusstsein der Verantwortung für andere, anderes und für die ganze Welt heraus entscheiden.

Das ist eine lebenslange Übung und Bestärkung, weil TZI hilft auf die inneren Stimmen, den eigenen Körper zu hören und sich nicht mit fremdbestimmen zu lassen. Nehmen wir das Beispiel Sport und Gesundheit. Wir wissen alle, wir sollten Sport betreiben. Wenn ich aber ein Mensch bin, der sich ohnehin sehr auspowert, dann kann es sein, dass ein Sport, der mich wieder auspowert, mir gar nicht gut tut. Ich muss spüren, welche Form der Bewegung für mich hilfreich ist. Was für jemanden anderen gut ist, muss für mich noch lange nicht passen. TZI bestärkt diese Fähigkeit ganz auf sich zu hören, sowohl körperlich als auch seelisch und geistig. Und dabei nicht nur mich selber sondern auch meine verschiedenen Globe-Situationen wahrzunehmen. Diese Form der inneren Auseinandersetzung ist ein hochkomplexer Akt – das andere ist ein rein egoistisches Selbstverwirklichungsprogramm, das Opfer schafft.

 

Ich möchte auch noch eine zweite Antwort auf diese Frage geben und zwar im Bezug auf die Schule:

Es gibt immer Ausnahmen und es gibt viele tolle Schulen, die verschiedenes ausprobieren. Aber es gibt leider noch genug Schulen, wo Lernen als lähmend und langweilig erlebt wird – weil es noch immer sehr kognitiv und ES-lastig ist. Noch immer wird Lernen oft nicht bei den Interessen und den Fähigkeiten der Einzelnen angesiedelt. Und das bedeutet, die Schüler müssen ihre Leidenschaften außerhalb bzw. neben der Schule leben, weil es im schulischen Lernen noch zu wenig integriert ist. Es wird immer noch zu wenig danach gefragt: „ Was interessiert Euch so brennend, dass wir daraus Projekte machen können?“ Da geht in der Schule viel Potential verloren. Viele der Kinder haben keine Leidenschaften mehr, sie sind schon sehr fremdbestimmt und ihre ganze Leidenschaft besteht im Gameboy. In der TZI wird stärker nach den Leidenschaften der Schüler gefragt: „Was ist Dein Lerninteresse an einer bestimmen Aufgabe? Was interessiert Euch wirklich?“

Aus pädagogischer Sicht gesprochen: TZI hat auch die Gruppe im Blick. Wir stellen uns die Frage: Was können wir auch sinnvoll für andere wissen und lernen. Wir verstehen Lernen als welterhaltendes, lebenserhaltendes sich Engagieren für die Erhaltung von Leben auf dieser Welt – das wäre dann ein sinnerfülltes Leben aus meiner Sicht.

Wenn Jugendliche heute merken, das was sie tun hat für andere einen Sinn, dann tun sie das mit hoher Motivation und großem Einsatz. Es macht sie selber glücklich, wenn sie anderen eine Freude machen können. Ein Beispiel dafür: die Schülerinnen einer 4. AHS haben einen Film gedreht für einen ihrer Deutschlehrer. Sie wollten sich bei ihm bedanken und haben sich ohne Anleitung eines Lehrers an die Arbeit gemacht. Die waren hochmotiviert, haben intensiv miteinander gearbeitet, weil sie gewusst haben sie machen ihm eine Freude. Es war wirklich eine Freude ihnen zuzuschauen, mit welcher Begeisterung sie bei der Sache waren. Da denke ich mir, es wäre so viel Energie bei den Jugendlichen da, wenn sie nur zum richtigen Zeitpunkt mit den richtigen Fragen gefördert werden. Es ist genau diese intrinsische Motivation, die von der TZI gefördert wird.

 

Wie ist das bei anderen pädagogischen Modellen?

 

Den Einzelnen im Auge zu haben ist bei allen pädagogischen Modellen Standard. Was meiner Meinung nach noch unterbelichtet ist, ist die Weisheit, das Lernen nur in lebendigen Interaktionsgruppen funktioniert. Die Gruppe als wichtiger Motor für das Lernen wird zu wenig beachtet.

Wenn es kracht, dann schickt man Mobbing-ExpertInnen in eine Klasse. Aber das man im Vorfeld prophylaktisch am Gruppenklima arbeiten kann, das ist zu wenig im Bewusstsein. Das man soziales Lernen jeden Tag machen kann, damit die Klasse sich als Gemeinschaft erlebt, das haben wir nicht am Radar. Im TZI-Jargon würden wir sagen, es wird zu wenig am WIR gearbeitet.

In der Klasse meines Sohnes hat es Schwierigkeiten gegeben und ich bin gebeten worden auf Gemeinschaftstage zu fahren, damit die Klasse sich anders wahrnimmt. Und die Kinder sind gestärkt und verändert zurückgekommen und verstehen sich seither gut.

 

Wie denkt Deine berufliche Umwelt darüber?

 

In unserem Institut arbeiten wir seit über 20 Jahren mit TZI und das hat Spuren hinterlassen. TZI ist bei uns im Haus eine anerkannte Arbeitsform und die FachkollegInnen fahren gerne bei TZI Seminaren mit und lassen sich auch ein in diese persönliche Auseinandersetzung mit den Themen. Sie trauen sich nicht TZI umzusetzen in ihren eigenen Lehrveranstaltungen, aber sie machen gerne mit. TZI-Seminare werden bei uns vom Hochschulfonds gefördert damit Studierende auch kostengünstig teilnehmen können.

Bei uns im Haus wird verstanden, dass TZI der Persönlichkeitsbildung dient und dass es Persönlichkeitsbildung auch in der Uni braucht. Allerdings im großen Kontext der Lehrerfortbildung gesehen ist TZI nach wie vor zu wenig bekannt. Man kennt vielleicht die Hilfsregeln, aber auf den GLOBE wird z.B. gerne vergessen.

 

Wie sprichst Du über TZI?

 

Ich spreche schon über TZI, aber eigentlich spreche ich mit TZI, das ist so implizit, dass ich eher in Gefahr bin TZI gar nicht zu benennen. Mein Eindruck ist, dass TZI so grundlegend ist, dass es im Unterbewusstsein verankert und einfach angewandt, aber selten benannt wird. TZI ist eben keine lebensfremde Theorie - einmal erlernt schwingt sie immer mit und wir vergessen, dass es eine ausformulierte Theorie gibt. Dabei möchte ich betonen, dass es mir ein Anliegen ist nicht nur implizit mit TZI zu arbeiten, sondern es auch explizit anzusprechen.

 

Wo zögerst Du TZI anzusprechen?

 

Ich zögere überall dort wo ich im einfachen Alltag mit Menschen zusammenkomme, die wenig Erfahrung in der Arbeit mit Gruppen haben und sich daher wenig für Methoden interessieren. Ich arbeite mit Gruppen so, dass Lernen dort nicht langweilig wird und da zögere ich dann schon öfter darüber zu reden.

 

Und ich zögere in ExpertInnenkreisen von PsychotherapeutInnen, Coaches, wo ich das Gefühl habe das sind Profis, die von TZI schon einmal gehört haben und es abgehakt haben. TZI ist dort nicht so eine anerkannt Methode, wie Gestalttherapie. Es fehlt uns schon an Selbstbewusstsein! Wir haben durch die TZI solche Schätze! Aber weil wir aus der Pädagogik kommen und nicht aus der Therapie, zählt unser Wissen nicht so viel. Ich beziehe mich in letzter Zeit immer stärker auf die Hirnforschung, weil da empirisch nachgewiesen wird, was die Reformpädagogik immer schon wusste. Für mich ist dieser kleine Trick sehr hilfreich.

 

Da Du seit März graduiert bist, erzähle uns noch kurz Deinen Weg mit TZI.

 

TZI habe ich in den 1980er Jahren während meines Studiums in Salzburg in zwei Seminaren kennengelernt. Mein erster Arbeitstag als Assistentin an der Theologischen Universität in Linz startete 1991 mit der Co-Leitung eines TZI-Seminars für Studierende. Damit begannen frohe und anregende Lehrjahre bei meinem damaligen Institutsvorstand Matthias Scharer. Seither lehre und lerne ich an der Uni mit TZI. Für meine Dissertation „Mit Lust an der Welt, in Sorge um sie“ (Mainz 1996), in der ich ein Modell für feministisch-politische Bildungsarbeit entwarf, waren Ruth Cohns Ideen und Haltungen grundlegend. In meiner Habilitation „Zusammenleben im Kindergarten“ (Stuttgart 2006) zog ich das Vier-Faktoren-Modell als Analyseraster für die Wahrnehmung von Kindergartenalltag heran. 1999 erhielt ich mein TZI-Diplom und begann kurz darauf meinen Weg zur Graduierung. Familiäre und berufliche Herausforderungen ließen einen wahrlich langen, aber dafür relativ stressfreien daraus werden. Viele Frauen und Männer waren mir dabei wichtige MentorInnen und LehrerInnen, den für mich wichtigsten möchte ich gerne an dieser Stelle danken: Janny Wolf-Hollander, Angelika Rubner, Matthias Scharer, Ingeborg Verweijen, Ernst Schrade, Roland Feldmann und Ilse Kögler. Seit März 2012 bin ich in das internationale Graduiertenkolleg aufgenommen. Nun freue mich auf anregende und weiterhin lehrreiche Seminare in unterschiedlichen Kontexten. Das erste Projekt, welches ich als Graduierte angehen darf, verdanke ich Gitta Krec: Gemeinsam mit Uschi Groer und Susanne Tomecek bieten wir an der KPH Krems ab Februar 2013 einen Zertifikationslehrgang an.